Umgang mit Preissteigerungen beim Kita- und Schulessen

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Aktuell werden in vielen Kitas und Schulen die Essenspreise erhöht. Wie ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie oder den Krieg in der Ukraine, mit diesen Preiserhöhungen umzugehen? Wir haben uns bei Prof. Dr. Christopher Zeiss, einem erfahrenen Vergaberechtexperten, nach der Rechtslage erkundigt.
Hände mit Dollarzeichentasche und weißer Glühbirne
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Träger schreiben die Kita- und Schulverpflegung meist für mehrere Jahre aus. Preisveränderungen sind in den Ausschreibungen zumeist nicht vorgesehen. Kommt es dann während der Vertragslaufzeit zu unerwarteten Szenarien wie der Corona-Pandemie oder dem Krieg in der Ukraine, oder auch der Erhöhung des Mindestlohns müssen Essensanbieter ihre Preise möglicherweise anpassen.

 

Welche rechtlichen Spielräume gibt es für Preissteigerungen?

Christopher Zeiss, privat
Foto: Christopher Zeiss, privat

 

 

 

 

Im Rahmen eines Interviews haben wir Prof. Dr. Christopher Zeiss, Professor für Staats- und Europarecht an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW, gefragt, wie mit Preissteigerungen im Bereich Kita- und Schulverpflegung umzugehen ist, sowohl in bestehenden Verträgen als auch bei neuen Ausschreibungen. Weiterhin wollten wir wissen, welche Rechte Eltern dabei haben.

Preissteigerungen in bestehenden Verträgen

Sind während der Vertragslaufzeit Nachverhandlungen möglich?

Prof. Dr. Zeiss:
Es gilt im Vertragsrecht der Grundsatz der Vertragstreue. Daher müssen Verträge im Regelfall auch dann erfüllt werden, wenn dem widrige Umstände entgegenstehen. Vertragsparteien können aber unter dem Gesichtspunkt des sogenannten Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Ausnahmefall einen Anspruch auf eine Änderung bestehender Verträge haben, wenn sich:

  • erstens kalkulationserhebliche Umstände nach Vertragsschluss so schwerwiegend geändert haben, dass
  • zweitens der Vertragspartei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Wann ist die erste Voraussetzung (Änderung kalkulationserheblicher Umstände nach Vertragsschluss) gegeben?

Prof. Dr. Zeiss:
Dies kann im Einzelfall insbesondere im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine der Fall sein. Dabei ist zu betonen, dass sich die Umstände nach Vertragsschluss geändert haben müssen. Daher wird eine Preisanpassung nur für solche Verträge in Betracht kommen, die vor dem Beginn der Lockdowns wegen der Corona-Pandemie (Mitte März 2020) oder des rechtswidrigen Angriffskrieges (also vor dem 24.02.2022) abgeschlossen wurden. Nur bei diesen Verträgen können sich wegen der jeweiligen Krisenlage die Umstände nach Vertragsschluss geändert haben.

 

Und wann ist auch die zweite Voraussetzung (Unzumutbarkeit) erfüllt?

Prof. Dr. Zeiss:
Macht der Auftragnehmer ein Vertragsänderungsbegehren oder Preiserhöhungsverlangen geltend, so ist zu beachten, dass Preissteigerungen für Material, Energie- und Arbeitskosten zum unternehmerischen Risiko gehören. Dies gilt in noch stärkerem Maße, falls die Verpflegungsleistung als Konzession einzuordnen ist. Nach der gesetzlichen Risikoverteilung muss der Konzessionsnehmer die wirtschaftlichen Risiken tragen. Bezeichnenderweise werden derartige Kostenrisiken durch die Bieterseite z.B. als „Wagnis“ in der Kalkulation berücksichtigt. Unzumutbarkeit setzt daher das Aufzehren von Wagnis und Gewinn voraus.

Hingegen darf von den Unternehmen keine drohende Insolvenz gefordert werden. Drohte bei einem Unternehmen eine Insolvenz, müsste dieses unverzüglich einen Insolvenzantrag stellen. Es gäbe keinen durchsetzbaren Anspruch mehr auf Vertragserfüllung, sondern die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs hinge von der Entscheidung des Insolvenzverwalters ab. Das damit bestehende sehr hohe Risiko eines Ausfalls der Verpflegungsleistung widerspräche den Interessen von Träger, Eltern und Schüler:innen.

Sind Vertragsänderungen dann sowohl in inhaltlicher (z.B. Fleischanteil wird reduziert) als auch in preislicher Hinsicht (z.B. Essenspreise werden erhöht) möglich?

Prof. Dr. Zeiss:
Eine Vertragsänderung ist grundsätzlich sowohl in inhaltlicher als auch in preislicher Hinsicht möglich. Dabei dürfen aber die durch Haushalts- und Vergaberecht gesetzten Grenzen nicht überschritten werden. Insbesondere darf bei einer Vertragsänderung/Preisanpassung die vertragliche Risikoverteilung nicht zu Lasten des Trägers geändert werden. So ordnet z.B. das Haushaltsrecht an, dass „Verträge nur in besonders begründeten Ausnahmefällen zum Nachteil“ des Auftraggebers geändert werden dürfen. Auch aus dem Vergaberecht ist abzuleiten, dass die vertragliche Risikoverteilung nicht zu Lasten des Trägers geändert werden darf.

Daher muss die vertragliche Risikoverteilung identifiziert und fortgeschrieben werden. Keinesfalls darf einem Preiserhöhungsverlangen des Auftrag-/Konzessionsnehmers ohne Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls stattgegeben werden. Auch pauschale Lösungen, etwa nach dem Halbteilungsgrundsatz (Mehrkosten werden zu jeweils 50 % zwischen Auftrag-/Konzessionsgeber und Auftrag-/Konzessionsnehmer geteilt), verbieten sich.

Die vertragliche Risikoverteilung muss an Hand der Urkalkulation des Auftrag-/Konzessionsnehmers identifiziert werden, um Überkompensationen zu vermeiden. Ist die Urkalkulation nicht verfügbar, kann ggf. auf nachgewiesene tatsächliche Einkaufskosten zurückgegriffen werden. Wird über nachgewiesene tatsächliche Einkaufskosten vorgegangen, so muss der Auftrag-/Konzessionsnehmer seine tatsächlichen Einkaufskosten zum Zeitpunkt der Kalkulation seines Angebots („Vorkrisenpreis“) und die tatsächlichen Einkaufskosten jetzt („Krisenpreis“) nachweisen.

Gibt es Vertragsänderungen, die sich generell verbieten?

Prof. Dr. Zeiss:
Keinesfalls dürfen inhaltliche Änderungen an der Leistung vorgenommen werden, die den Gesamtcharakter der Leistung ändern.

War die Verpflegungsleistung also beispielsweise bisher deutlich über einen hohen Anteil von Bio-Lebensmitteln definiert, würde eine Aufgabe des Bio-Anteils zur Neuausschreibung der Leistung verpflichten. Ohne die hohe Bio-Quote hätte ggf. von Anfang an ein anderer Bewerberkreis angesprochen werden und niedrigere Preise erzielt werden können.

Preissteigerungen in neuen Verträgen bzw. neuen Beschaffungsverfahren

Wie können Auftraggeber und Bieter Absprachen treffen, um zum Beispiel auf unvorhergesehene Preisänderungen zu reagieren?

Prof. Dr. Zeiss:
Schwanken Preise in wesentlichen Positionen, z.B. wegen der aktuellen Krisenlage, und ist daher eine verlässliche Kalkulation durch die Bieter nicht möglich, können die Unternehmen einen Anspruch auf die Vereinbarung einer Preisgleitklausel haben. Die Verwendung einer Preisgleitklausel dient auch dem Interesse des Trägers der Einrichtung und der selbstzahlenden Kunden: Beispielsweise werden die Unternehmen nicht mehr durch ein hohes Kostensteigerungsrisiko abgeschreckt und es können möglicherweise auch günstigere Preise erzielt werden – die Unternehmen müssen ja nicht mehr mit so hohen Risikoaufschlägen kalkulieren.

Kann eine Preisgleitklausel an allgemeine Preisindizes gekoppelt sein?

Prof. Dr. Zeiss:
Nein, in einer Preisgleitklausel dürfen keine allgemeinen Preisindizes in Bezug genommen werden, denn dies ist nach dem Preisklauselgesetz verboten. Verbotene Koppelungen an allgemeine Preisindizes wären z.B. Kopplungen an den Verbraucherpreisindex oder an den Großhandelspreisindex für Nahrungs- und Genussmittel. Hinter dem Preisklauselgesetz steht übrigens das Ziel der Inflationsbekämpfung: Bei einer Kopplung an allgemeine Preisindizes würde aber gerade die Inflation befeuert. Schließlich würden allgemein steigende Preise zur Steigerung eines allgemeinen Preisindizes führen, der Preisindex führt dazu, dass auch die Preise im Vertrag steigen, diese steigern wiederum den Preisindex: Ein Teufelskreis!

Woran kann eine Preisgleitklausel sonst gekoppelt sein?

Prof. Dr. Zeiss:
Zulässig sind nur Preisgleitklauseln, die an der Urkalkulation und konkreten Einkaufspreisen bzgl. der einzelnen Warengruppen, konkreten Kostenfaktoren oder spezifischen, konkreten Preisindizes ansetzen (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 Preisklauselgesetz). Derartige konkrete Preisindizes können über die „GENESIS“-Datenbank des Statistischen Bundesamts gefunden werden. Dort findet man spezifische Preisindizes auch für landwirtschaftliche Produkte, z.B. für Kartoffeln, Gurken oder Blumenkohl. Es können in einem Vertrag auch mehrere Preisgleitklauseln für verschiedene Lebensmittel geregelt werden.  Preisgleitklauseln können auch ohne Inbezugnahme auf einen Index selbst formuliert werden. In diesem Fall ist besonders darauf zu achten, dass die Bieter mit dem Angebot ihre Urkalkulation einreichen.  Auch sollte an Bagatellklauseln und Deckelungen gedacht werden.

Zudem muss sichergestellt werden, dass eine Preisgleitklausel keine „Einbahnstraße“ wird, also die Auftragnehmer immer nur steigende Preise weitergeben, nicht jedoch fallende Preise. Dies setzt eine entsprechende Formulierung der Preisgleitklauseln voraus („steigt oder fällt“ bzw. dynamische Kopplung an den konkreten Index).

Hat der Auftraggeber die Pflicht, sich regelmäßig über aktuelle Preise zu informieren?

Prof. Dr. Zeiss:
Ja, der Auftraggeber muss im Rahmen eines aktiven Vertragsmanagements immer auch kontrollieren, ob Preise gefallen sind. Kann ein derartiges aktives Vertragsmanagement nicht geleistet werden, sollte auf die Vereinbarung von Preisgleitklauseln verzichtet werden.

Rechte der Eltern

Haben Eltern ein Kündigungsrecht bei Preiserhöhungen?

Prof. Dr. Zeiss:
Klarzustellen ist, dass sich nicht der Auftrag-/Konzessionsgeber einerseits und der Verpflegungsdienstleister andererseits auf eine Erhöhung des Essenspreises bzw. Eigenanteils zu Lasten der Eltern einigen dürfen. Dies wäre ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter.

Auch kann nicht der Verpflegungsdienstleister eigenmächtig die Preise für die Eltern erhöhen. Vielmehr müssen entsprechende Regelungen einvernehmlich in einem Vertrag zwischen Verpflegungsdienstleister einerseits und Eltern andererseits vereinbart sein; üblicherweise wird mit der Möglichkeit der Preiserhöhung durch den Verpflegungsdienstleister dann auch ein Kündigungsrecht der Eltern für den Fall der Preiserhöhung zu vereinbaren sein. Kurzfristige Preiserhöhungen innerhalb von vier Monaten nach Vertragsschluss sind in jedem Fall unwirksam.

Welche Optionen gibt es, wenn der Elternbeirat einer Kita der Essensgelderhöhung nicht zustimmt?

Prof. Dr. Zeiss:
Praktisch ist zunächst zu prüfen, ob überhaupt eine Zustimmung des Elternbeirats erforderlich ist. § 10 Abs. 5 Satz 2 KiBiz bestimmt, dass eine Zustimmung nicht erforderlich ist, wenn es sich „nur um geringfügige Preissteigerungen im Rahmen allgemeinüblicher Teuerungsraten handelt“.

Sollte die Grenze der geringfügigen Preissteigerung überschritten sein, wird man mit dem Elternbeirat verhandeln und diesen überzeugen müssen. Letztlich sollte dies nicht verwundern: Schließlich entspricht die erforderliche Zustimmung auch der zivilrechtlichen Wertung. Es dürfen sich Träger einerseits und Verpflegungsdienstleister andererseits nicht zu Lasten der Eltern auf eine Erhöhung des Essensgeldes einigen.

Erhalten Eltern, die Essensgeld im Voraus bezahlt haben, dieses bei Insolvenz eines Essensanbieters zurück?

Prof. Dr. Zeiss:
Haben Eltern Essensgeld im Voraus bezahlt (z. B. über ein Abo), können diese im Fall einer Insolvenz des Verpflegungsdienstleisters das Geld nur im Rahmen des Insolvenzverfahren zurückerlangen. Praktisch wird so allenfalls ein kleiner Teilbetrag (z.B. 10%) zurückzuerhalten sein – und dies auch nur, wenn die Eltern ihre Forderung angemeldet haben und genügend Insolvenzmasse vorhanden ist. Am günstigsten für die Eltern dürfte es sein, wenn der Insolvenzverwalter sich entscheidet, den Geschäftsbetrieb fortzusetzen und dann das Essensgeld schlicht durch die Kinder „verzehrt“ wird.

Herzlichen Dank, Prof. Dr. Zeiss, für das Interview.
(Interview vom Mai 2023)

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